Dieses seltsame Gefühl durch die alte Stadt zu laufen. Man kennt alles schon so lange, alles so vertraut, wie die längst vergessenen Freunde und Verwandte. Und dabei immer nur wieder auf sich selbst zurückgeworfen sein, mit sich selbst konfrontiert werden. Ständig muss man sich erklären, nicht im Gespräch mit Anderen, sondern sich selbst. Man muss sich viel mehr mit sich selbst befassen im Angesicht des Vertrauten und Altbekannten. Wie viel Zeit ist vergangen oder eher: wie wenig, obwohl letzte Weihnachten doch schon wieder ein Jahr her ist. Und wie war ich letzte Weihnachten und ein Jahr davor und davor und davor und...? Jedes Jahr versucht man sich wieder abzugrenzen zu all dem Früher und man bleibt immer nur bei sich selbst stehen, schaut immer nur sich selbst an und das ist natürlich frustrierend und ja auch - selbstmitleidig...wie immer eben.
23. Dezember 2010
19. Dezember 2010
16. Dezember 2010
Mal was anderes...
Man muss ja mal was machen, denkt man jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlägt und die grauenhaften Artikel zu Wikileaks liest in FAZ, SZ, ZEIT und was noch alles. Die sehen dann tatsächlich von Julian Assange die Demokratie bedroht, nur weil er gezeigt hat, dass viele, die sich Demokraten nennen, ziemlich oft nicht gerade demokratisch sind. Und der Umgang mit Assange zeigt wiederum, wie sehr er recht hatte. Das ist - muss man mal auch ganz ernst sagen - nicht nur traurig, sondern sogar tragisch.
Irgendwo habe ich einen Vergleich gelesen, dass für die heutige junge Generation die Wikileaks-Debatte so ähnlich wichtig ist, wie für die 68er die Spiegel-Affäre 1962. Nur geht sie halt nicht mehr auf die Straße, sondern protestiert im Netz. Eine logische Konsequenz, finde ich.
Heute dann mal zufällig zwei gute Texte in der Zeitung: Zum einen in der Berliner Zeitung ein Aufruf zur Pressefreiheit, der von der taz ausgeht. HIER könnt ihr unterschreiben.
Dann ein kurzer Text aus der Süddeutschen Zeitung, der die amerikanische Huffington Post zitiert, in der die Feministin Naomi Wolf schreibt:
"Nicht einmal in den 23 Jahren, in denen ich Opfer sexueller Gewalt in aller Welt unterstützte, habe ich jemals gehört, dass ein Mann von zwei Ländern gesucht und ohne Kaution in Einzelhaft gehalten wurde - für eine angebliche Vergewaltigung (...). Schon gar nicht für Anschuldigungen wegen Sex, der einvernehmlich begann und dann wegen eines Streits um ein Kondom nicht einvernehmlich wurde."
Tschuldigung wegen dieses gänzlich unironischen Blogeintrags, wird wieder besser nächstes Mal...
15. Dezember 2010
Die Zukunft
Am Montag haben wir bei der Lesedüne unseren langjährigen lieben Freund und Mitstreiter Kolja R. in den fast verdienten, aber selbstgewählten Ruhestand verabschiedet. Es war ein schöner, bewegender, aber auch überaus trauriger Abend. Trotzdem steckt in jedem Ende auch eine Zukunft oder wie das heißt. Über diese Zukunft haben wir auch in einigen Texten spekuliert. Hier könnt ihr meinen Beitrag nachlesen:
Die Lesedüne in 50 Jahren – eine realistische Zukunftsvision
Ich liege in meinem gemütlichen Bett in meiner großen Altbauwohnung in Neukölln. Neukölln ist jetzt im Jahr 2060 wie Charlottenburg vor 50 Jahren. Die Hipster gehen heutzutage nur noch im Zehlendorf-Kiez weg, dort feiern sie große 2020er Jahre Partys in abbruchreifen Villen.
Nach dem Großen Krieg vor 15 Jahren zwischen den Cyberwesen und den Humanisten ist Neukölln der einzige Stadtteil in Berlin, der halbwegs sicher ist. Halb Deutschland wurde im Großen Krieg verwüstet, in dem die Cyberwesen unter Führung des dritten Heidi Klum Klons Heidi III gegen die Humanisten unter ihren großen Führern den geklonten Rüdiger Safranski IV und Peter Sloterdijk VI, den ewigen ZDF-Moderatoren des „Philosophen Quartetts“, gekämpft haben. Im Friedensvertrag von Kassel-Wilhelmshöhe wurde Deutschland geteilt: Im Osten herrschen die Humanisten, die seit Safranski IV und Sloterdijk IV von Sarrazin V brutal von der Macht verdrängt wurden, einen christlichen Gottesstaat errichtet haben. Seitdem befinden sich die ursprünglichen Humanisten im Bürgerkrieg mit den christlichen Spaltern. Neukölln ist dank der vielen islamischen Humanisten das Zentrum des Widerstands gegen die Fundamentalisten geworden. Vom Westen Deutschlands, wo immer noch Heidi III ein brutales Regime führt, dringen schon lange keine Nachrichten mehr zu uns durch.
Aber ich verlasse ohnehin kaum noch mein Haus. Einmal am Tag kommt meine Haushälterin Kevin vorbei und wir haben etwas Cyber-Sex. Sie ist in den 2030ern geboren, da war es gerade voll in, Mädchen Jungennamen zu geben. Heute werde ich aber seit dreißig Jahren mal wieder Kreuzberger Boden betreten, denn die Lesedüne feiert ihr 55 Jähriges Bestehen im Monarch und alle ehemaligen Mitglieder wurden eingeladen.
Am Tag davor hatte ich folgendes Einladeschreiben in meinem Briefkasten gefunden:
"Die Lesedüne wird seit 49 Jahren von Kolja Reichert geleitet. Zusammen mit seinen Klonen Kolja II, Kolja III und Kolja V liest Kolja jeden zweiten und vierten Montag lustige Geschichten im Monarch vor. Kolja IV ist leider vor ein paar Jahren ausgestiegen, um sich seiner journalistischen Karriere zu widmen. Nachdem die Lesedüne im Jahre 2011 ein Jahr lang ohne Kolja mehr oder weniger völlig zu Grunde gegangen ist und Marc-Uwe Kling die terroristische Untergrundorganisation Känguru-Geheimbund (KGB) gegründet hatte, übernahm Kolja die Düne 2012 wieder und baute sie zu einer Massenveranstaltung aus. Unter dem neuen Namen „Koljadüne“ fand sie zuerst eine neue Heimat im Springerhochhaus an der Axel-Springer-Straße, aber nachdem dieses von Marc-Uwe Kling und dem KGB im Jahre 2014 in die Luft gejagt wurde, fand die „Koljadüne“ ab 2015 in der O2-Arena statt. Nachdem Marc-Uwe Kling aber 2016 auch die O2-Arena in die Luft gesprengt hatte, wandte sich Kolja wieder von seinem Massenkonzept der „Koljadüne“ ab. Er zog zurück in den Monarch, benannte die „Koljadüne“ wieder in Lesedüne um und widmete sich fortan der Untergrundliteratur und dem Poetry Slam.
Einen weiterer Rückschlag musste die Lesedüne 2020 erleiden, als Maik Martschinkowsky, der zwischenzeitlich einen kleinen Teeladen namens Y-Tee in Friedrichshain gegründet hatte, endgültig aus der Lesedüne ausschied, um sich ganz der Expansion seines Tee-Imperiums zu widmen. Denn sein Teeladen entwickelte sich immer besser, in ganz Deutschland eröffnete er Filialen. Der Verkaufsschlager war sein kalter Schwarztee, dessen Rezeptur niemand kannte. Gerüchten zufolge soll ein wichtiger Bestandteil Kokain sein. Unter dem Namen Coca Y-Tee entwickelte sich seine Unternehmen zu einen Global Player im Food&Drink-Bereich. Die Coca Y-Tee-Werke in Friedrichshain zählen noch heute zu den größten Arbeitgebern in Ost-Deutschland. Maik ist aber schon lange nach Amerika ausgewandert und wurde dort Gouverneur von Kalifornien. Im Jahre 2027 wurde er aber leider von einem geistig umnachteten Globalisierungskritiker auf offener Straße erschossen.
Im Jahre 2025 schied dann das letzte Gründungsmitglied der Lesedüne, Sebastian Lehmann, endgültig aus. Nachdem er seine 3489ste Folge in der Reihe Meine Jugendkulturen geschrieben hatte, „Wie ich einmal sehr müde war“, fiel er in einen mehrjährigen tiefen Schlaf, aus dem er erst im Jahre 2031 wieder erwachte und seitdem zurückgezogen als Privatlehrer im Dauerschlafen in Berlin-Neukölln lebt.
Was aus Marc-Uwe Kling geworden ist, ist weiterhin unklar. Nachdem er die O2 Arena in die Luft gesprengt hatte, wurde es lange ruhig um den KGB. Erst im Großen Krieg trat er wieder in Erscheinung und kämpfte erst an der Seite der Humanisten, verfolgte aber bald radikalere Ziele und errichtete einen anarchistischen Künstlerstaat im oberschwäbischen Dschungel. Nach einigen Jahren übergab Marc-Uw aber die Herrschaft in seinem Künstlerstaat einem Verrückten in einem Känguru-Kostüm. Seitdem gilt Marc-Uwe Kling als verschollen. Die Welt geht davon aus, dass er schon längst tot ist.
Nun feiert die Lesedüne 50 Jahre Lesedüne und alle ehemaligen Mitglieder werden erwartet.
Mit freundlichen Grüßen,
ihr Kolja, Kolja II, Kolja III und Kolja V"
Freudig verlasse ich also mein Haus um nach so vielen Jahren endlich wieder zu Lesedüne zu gehen. Als ich das Kottbusser Tor erreiche, werde ich sofort von Heckenschützen der radikal-christlichen Sarrazin-V-Anhängern erschossen und bin sofort tot.
Nun ist Kolja Reichert das letzte lebende Mitglied der Lesedüne.
12. Dezember 2010
Am unteren Ende der Wrangelstraße VI
Ich sitze immer noch am Fenster und schaue auf das untere Ende der Wrangelstraße. Jetzt ist es weiß. Und nicht mehr grau wie immer Sommer. Hin und wieder sehe ich wie Spaziergänger unten auf dem spiegelglatten Gehweg einige Pirouetten aufführen. Das sieht schön aus und ich bekomme Weihnachtsgefühle. Schnell esse ich alle Türen meines Adventskalenders auf. Also nicht die Türen, sondern natürlich was dahinter ist. Ich halte mich nicht gerne mit Oberflächlichkeiten auf.
Da klingelt das Telefon. Immer klingelt das Telefon im falschen Moment, denke ich. Oder im richtigen, wie man es nimmt. Mir kommt es so vor, als klingle es auch besonders laut. Ich gehe ran. Es ist meine Mutter: „Na wie geht’s dem Studium?“, fragt sie.
„Gut“, sage ich. „Hab ihn schon lang nicht mehr gesehen, den netten Herrn Studium.“
„Sohn, du musst endlich auch mal Verantwortung übernehmen und erwachsen werden“, schreit meine Mutter.
„Ich will aber kein so bürgerlich-spießges Leben führen wie ihr“, sage ich.
„Unser Geld nimmsch abber“, ruft mein Vater von hinten ins Telefon rein.
„Vielleicht habt ihr recht, liebe Eltern“, sage ich, „wie der Vater auf der Wrangelstraße sollte ich Verantwortung übernehmen. Der hat schließlich wenigstens ein Kind. (siehe frühere Folge) Ich bin nur arbeitslos“.
„Das wäre schön“, sagt meine Mutter.
„Wer soll das alles bezahlen“ ruft mein Vater
Da bricht aber die Verbindung ab. Ich habe anscheinend die Telefonrechnung mal wieder nicht bezahlt.
Ich schaue wieder raus auf das untere Ende der Wrangelstraße, die jetzt im Winterdämmerlicht ruhig daliegt. Kein Alki, keine Kinder, keine Künstler oder sonst wer ist zu sehen. Nur der Schnee liegt friedlich wie alles dämpfende Watte über dem Asphalt.
Erschöpft und zufrieden schlafe ich ein.
Fortsetzung folgt (vielleicht)
9. Dezember 2010
6. Dezember 2010
Somewhere
Das Leben ist wie ein Film von Sofia Coppola, die ganze Zeit passiert nichts, aber das hat immer wahnsinnig viel zu bedeuten, man weiß aber nicht was. Und irgendwie ist das dann immer traurig und lustig zugleich.
Sebastian Lehmann
Sebastian Lehmann
5. Dezember 2010
Die Erde
Sitze gerade in einer unglaublich hässlichen Plastik-Lobby eines Etap-Hotels in Zürich, nachdem wir gestern als Lesedünen Team das Zürcher Poetry Slam Festival - haushoch muss man sagen - verloren haben und aus den Boxen dröhnt Michael Jacksons Earth Song. Das erinnert mich daran, wie Pulp-Sänger Jarvis Cocker bei den Brit Awards, als Jacko den Song spielte und sich dabei wie Jesus gebar, auf die Bühne gerannt kam und ihm seinen Hintern entgegen hielt. Das war unfassbar cool und - das muss man ebenso sagen - die einzige Michael Jackson angemessene Verhaltensweise.
Es lag gestern übrigens nur am Publikum, dass wir verloren haben - das muss man wirklich mal sagen - weil es ja übrigens immer nur am Publikum liegt und nicht an uns. Nie. Man könnte natürlich argumentieren, dass es auch am Publikum lag, dass wir überhaupt ins Finale gekommen sind. Naja. Okay, wir waren jetzt auch nicht so wahnsinnig gut gestern - muss man sagen. Jetzt kommt hier in der Lobby übrigens Nick Cave. Das ist schön und passt besser zu meiner Stimmung.
Übrigens haben gestern die wunderbaren Frankfurter von Word Alert zusammen mit Lars Ruppel gewonnen.
PS: Am Dienstag beim Kreuzberg Slam große Slam-Abschieds-Gala mit Marc-Uwe, der ja aufhört und dazu haben wir so einige gute Leute eingeladen...
2. Dezember 2010
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