Langweilig 5 – Die Rückkehr der langweilige Sieben
Fortsetzung von
Langweilig Teil 1, 2, 2 ½, 3 und 4. Thematisch knüpft auch Langweilig Teil 5 an
die vorangegangenen Teile an. Die langweiligen Sieben kommen übrigens gar nicht
vor, weder in diesem Text noch in einem Text davor.
„Roman! Oder: Die Abschaffung der Gegenwart. Schon
passiert. Und jetzt, am allerbesten, endlos klaglos und direkt...“
Rainald
Goetz
Ich gehe in einen
Buchladen, ich möchte mir von Thomas Bernhard das Buch „Auslöschung“ kaufen,
aber leider gibt es in der Buchhandlung kein einziges Buch von Thomas Bernhard,
überhaupt scheint es in dieser so genannten Buchhandlung überhaupt gar keine
Bücher mehr zu geben, sondern nur Geschenkartikel, Postkarten und Kalender mit
Katzenbabys, Hundebabys, Hamsterbabys und nackten Eishockeynationalspielerinnen
drauf. Ich gehe zu einen der Buchverkäufer hin und frage, ob sie hier nicht
doch irgendwo dieses hervorragende Buch von Thomas Bernhard vorrätig hätten,
aber der naturgemäß vollkommen stumpfsinnige Buchverkäufer schaut mich nur aus
traurigen Augen traurig an:
„Mhh, Thomas Bernhard“,
sagt er.
„Auslöschung“, sage ich.
„Mhh, Auslöschung“, sagt
er.
„Genau“, sage ich.
„Mhh, nein“, sagt er.
„Schlecht“, sage ich.
„Mhh, schlecht“, sagt er.
Da springt mir auf einmal
doch ein Buch ins Gesicht, also jetzt metaphorisch gemeint, es heißt: „Neukölln
ist überall“.
Das wäre ja furchtbar,
wenn jetzt überall Neukölln wäre, denke ich, und überall diese
stoffbeutelschwenkenden, Club-Mate trinkenden und solche kleinen Verbrechermützen
tragenden Hipster rumlaufen würden. Obwohl, denke ich und nehme einen Schluck
Club Mate, die ich immer in meinem Stoffbeutel dabeihabe. Auf dem Stoffbeutel
steht: „Adolf Hipster.“ Aber dann sehe ich, dass das Buch von dem Neuköllner
Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky oder Martschinkowsky oder wie der heißt,
geschrieben ist, und dass es da um Integration geht. Und zwar nicht um die
Integration von schwer erziehbaren Hipstern, sondern von so genannten
Problemjugendlichen. Problemjugendliche haben
gar keine Probleme, wie ich ja erst dachte, zum Beispiel, dass sie keinen Job
finden oder diskriminiert werden, nein – laut Heinz Bukowski sind die
Jugendlichen selbst das Problem. Weil sie sich nicht anpassen an den weißen,
heterosexuellen Mainstream und außerdem keine Artikel und Pronomen mehr
sprechen können: ‚Ey, ich fahr jetzt Schönleinstraße, geh dann Rütlischule und
check da Drogen, Alter.’
Naja, jedenfalls liegt in
dieser so genannten Buchhandlung dieses Buch des Neuköllner Thilo-Sarrazin-Verschnitts
rum und ich lese, was da hinten auf dem Buchrücken steht: „Heinz Buschkowsky
spricht unbequeme Wahrheiten aus.“ Allerdings nicht die, dass der seit elf
Jahren regierende Bezirksbürgermeister in diesen elf Jahren nicht geschafft
hat, aus Neukölln das zu machen, was ein paar zugezogene Studenten, Künstler
und schwedische Touristen in sechs Monaten geschafft haben: Ein nettes,
bürgerliches Viertel mit dreihundert Biobäckereien, netten Cafés und
überteuerten Mieten.
Heinz Buschkowsky
auslöschen, denke ich, Auslöschung, Zerfall, Destruktion, Untergang, aus! Weg
mit diesen Das-muss-mal-gesagt-werden-Arschlöchern!
Naturgemäß völlig
erschöpft von diesen ganzen Gedanken, verlasse ich die so genannte Buchhandlung
und laufe die Friedrichstraße hinunter. Direkt vor dem U-Bahnhof sehe ich einen
Zeitungsaboandreher, der bewegungslos hinter seinem Zeitungsstand hängt. Eine
Zeitung, denke ich, das wäre jetzt etwas. Und ein Abo bräuchte ich auch
dringend. Ich gehe also zu dem Zeitungsaboandreher hin und sage ihm, dass ich
gerne ein Probeabo abschließen würde.
Er schaut mich überrascht
an. „Das ist noch nie passiert.“ Er hält kurz inne. „Aber nein.“
„Was nein?“
„Sie bekommen kein
Probeabo von mir.“
„Warum?“
„Weil ich keine Lust
habe.“
Ich schaue ihn ungläubig
an.
„Sie können jetzt gehen. Ich gebe Ihnen heute kein Probeabo!“
„Ich will aber sofort ein
Probeabo, das ist mein gutes Recht.“
„Nein“, ruft der
Probeaboandreher. „Ich mag sie nicht.“
In diesem Moment kommt
mein Freund Vin Diesel auf seinem Motorrad angefahren, auf seiner Schulter ruht
eine Panzerfaust, mit der er den Zeitungsstand samt Probeaboandreher in die
Luft sprengt.
„Vin“, rufe ich, „du
kommst genau im richtigen Augenblick.“
„Das ist mein Job“, sagt
Vin, „Auslöschung.“
„Lieber Leser“, spreche
ich den Leser dieses Textes persönlich an. „Das sind die schönen Momente im
Leben einer fiktionalen Figur, wenn es der Autor möchte, wird man von seiner
Qual sofort erlöst.“
„Ist dieses
Leseransprechen das Pendant zum in die Kamera-Schauen beim Film und damit den
Zuschauer direkt ansprechen?“, fragt Vin, setzt sich seine Hornbrille auf und
streicht sich sein kariertes Cordjacket zurecht. Dann schaut er sich im
Rückspiegel seines Motorrads an und bleckt die Zähne. „Eine Vin-Vin-Situation“,
sagt er zu seinem Spiegelbild.
Vin Diesel hat wirklich
einen ganz eigenen Humor, denke ich. Wir schlendern weiter die Friedrichstraße
hinunter und stehen plötzlich in Neukölln.
„Das ist ja seltsam“, sage
ich.
Wir nehmen die S-Bahn zum
Alexanderplatz, aber als wir aussteigen stehen wir auf dem Hermannplatz. Wir
fahren nach Marzahn, aber auch da ist Neukölln.
„Neukölln ist überall“,
sage ich, „Heinz Buschkowsky hat doch recht.“