12. Dezember 2010

Am unteren Ende der Wrangelstraße VI

Ich sitze immer noch am Fenster und schaue auf das untere Ende der Wrangelstraße. Jetzt ist es weiß. Und nicht mehr grau wie immer Sommer. Hin und wieder sehe ich wie Spaziergänger unten auf dem spiegelglatten Gehweg einige Pirouetten aufführen. Das sieht schön aus und ich bekomme Weihnachtsgefühle. Schnell esse ich alle Türen meines Adventskalenders auf. Also nicht die Türen, sondern natürlich was dahinter ist. Ich halte mich nicht gerne mit Oberflächlichkeiten auf.
Da klingelt das Telefon. Immer klingelt das Telefon im falschen Moment, denke ich. Oder im richtigen, wie man es nimmt. Mir kommt es so vor, als klingle es auch besonders laut. Ich gehe ran. Es ist meine Mutter: „Na wie geht’s dem Studium?“, fragt sie.
„Gut“, sage ich. „Hab ihn schon lang nicht mehr gesehen, den netten Herrn Studium.“
„Sohn, du musst endlich auch mal Verantwortung übernehmen und erwachsen werden“, schreit meine Mutter.
„Ich will aber kein so bürgerlich-spießges Leben führen wie ihr“, sage ich.
„Unser Geld nimmsch abber“, ruft mein Vater von hinten ins Telefon rein.
„Vielleicht habt ihr recht, liebe Eltern“, sage ich, „wie der Vater auf der Wrangelstraße sollte ich Verantwortung übernehmen. Der hat schließlich wenigstens ein Kind. (siehe frühere Folge) Ich bin nur arbeitslos“.
„Das wäre schön“, sagt meine Mutter.
„Wer soll das alles bezahlen“ ruft mein Vater
Da bricht aber die Verbindung ab. Ich habe anscheinend die Telefonrechnung mal wieder nicht bezahlt. 
Ich schaue wieder raus auf das untere Ende der Wrangelstraße, die jetzt im Winterdämmerlicht ruhig daliegt. Kein Alki, keine Kinder, keine Künstler oder sonst wer ist zu sehen. Nur der Schnee liegt friedlich wie alles dämpfende Watte über dem Asphalt. 
Erschöpft und zufrieden schlafe ich ein.

Fortsetzung folgt (vielleicht)

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